Musik überwindet Grenzen
Konzert in St. Augustinus zum Tag der Deutschen Einheit
von Wolf-Dieter Rennecke
Wie kann man das Gedächtnis der Wiedervereinigung der damals zwei deutschen Staaten vor 35 Jahren passender begehen als mit Musik, die überall verstanden wird, und mit Worten, die aus dem Herzen kommen? Winfried Dahn, dem Senior-Organisten an St. Augustinus in Hannover-Ricklingen, war es gelungen, zwei international bekannte Musikerinnen, einen ehemaligen niedersächsischen Kultusminister und den katholischen Regionaldechanten zu einer beeindruckenden Feierstunde zu vereinen. Die Stadt Hannover und die Stiftung Edelhof Ricklingen hatten mit einer großzügigen Spende dieses Ereignis finanziell ermöglicht.
Mit ihrer gar nicht asiatisch klingenden Nationalhymne schlug die süd-koreanische Organistin Eun-Bae Jeon (Seoul) eine Brücke zwischen ihrem Heimatland und Hannover.
Sie hatte auch in Hannover studiert und zeitweise hier gewirkt und bildet zusammen mit der Cellistin Sabine Angela Lauer aus Hannover das Duo Concertato. Als die Orgel verstummte, füllte das Cello mit der schlicht solo gespielten deutschen Nationalhymne die gut besuchte Kirche.
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Impressionen (Fotos: Michael Galle) und das Programm
In seine Begrüßung wies Winfried Dahn darauf hin, dass die beiden Länder – Deutschland und Süd-Korea – ein ähnliches Schicksal verbindet. Denn Korea wurde nach dem 2. Weltkrieg geteilt und ist es noch immer, während wir uns über die unerwartete, aber leider noch nicht in allem vollzogene Vereinigung beider Teile freuen können. Er zitierte eine Aufforderung der Präsidentin des Zentralkomitees der deutschen Katholiken zum Zusammenhalt:
„Umfragen zeigen die wachsende Entfremdung zwischen Ost und West. Damit dürfen wir uns nicht abfinden. Deutschland braucht Menschen, die Brücken bauen – Menschen, die das Gespräch suchen und führen, auch da, wo es wehtut. Das mangelnde Gefühl der Einheit ist eine offene Wunde, die wir gemeinsam schließen müssen.“
Im Gespräch mit Winfried Dahn über „Zukunft durch Erinnerung“ bestätigte Prof. Rolf Wernstedt, ehemals niedersächsische Kultusminister, mit einer bewegenden Erzählung seiner persönlichen Erlebnisse der deutschen Teilung die unterschiedlichen Empfindungen der Menschen in den beiden Deutschlands. Nach dem Abtur war er vor der Einberufung in die Volksarmee aus der DDR geflohen und hatte im Westen seine Position und Verantwortung in einem anderen politischen System gefunden. Er appellierte eindringlich an die Notwendigkeit des gegenseitigen Verstehens: „Man muss in einer Demokratie lernen, miteinander zu reden.“

Weitere Impressionen vom Konzert zum Tag der Deutschen Einheit
Vor diesem Gespräch spielte Sabine Angela Lauer die Sonate Nr. 1 Opus 72 des 1919 geborenen sowjetischen Komponisten polnischer Herkunft Mieczyslaw Weinberg. Dahn hatte sie als „zeitgenössisches Werk“ angekündigt. Sabine Angela Lauer zeigte mit diesem anspruchsvollen, weitgehend atonalen Stück einen Beweis ihres Könnens. Der wunderbar weiche Ton des Cellos ließ den ersten Satz (Adagio) getragen melancholisch klingen. Im zweiten Satz (Allegro), lebhaft und aufrüttelnd, wurden die Saiten gestrichen und gezupft, der Bogen klopfte und hüpfte über die Saiten.
Welch ein Sprung dann zum von Eun-Bae Jeon gespielten Präludium e-Moll, BWV 548, für Orgel solo von J. S. Bach! Winfried Dahn hatte darauf hingewiesen, dass in diesem Jahr der 275. Wiederkehr seines Todestages gedacht wird.
Für unsere europäischen Ohren klang die „Confession“ für Cello und Orgel des Koreaners Keun-Hyoung Lee (geb. 1969) nun wirklich asiatisch, teils atonal dissonant, teils in ungewohnten Harmonien und Rhythmen. Mal war die Orgel dominant, auch im Solo, mal gleichermaßen das Cello mit zum Teil harten, wie aufgerauten Tönen. Meist aber ergänzten sich beide Instrumente im Zusammenspiel. Man merkte, dass die beiden Musikerinnen aufeinander eingespielt sind.

Propst Wolfgang Semmet, Sabine Angela Lauer, Eun-Bae Jeon, Prof. Rolf Wernstedt und Winfried Dahn
Regionaldechant Propst Wolfgang Semmet schlug einen Bogen zur Leipziger Thomaskirche, wo mit den Friedensgebeten die Revolution und der Aufstand der Bürgerinnen und Bürger der DDR ihren auslösenden Höhepunkt der Befreiung aus der Diktatur gefunden hatte. Christinnen und Christen spielten damals eine entscheidende Rolle, während heute das Christentum dort heute kaum noch eine Rolle zu spielen scheint. Propst Semmet zitierte aus dem Johannes-Evangelium die Bitte Jesu an seinen Vater, dass alle eins seien untereinander und mit ihm wie er mit dem Vater. Es wurde zum Segensgebet mit der Bitte um den bitter nötigen Frieden.
Ein Gebet ist auch das Kol Nidrei (hebr.: „Alle Gelübte“ aus dem Versöhnungsgebet zu Jom Kippur) für Violoncello und Orgel von Max Bruch (1838-1920). Mit diesem Werk endete stil- und würdevoll die Gedenkfeier für den Tag der Deutschen Einheit.

Dank den Akteuren: Prof. Rolf Wernstedt, Sabine Angela Lauer, Eun-Bae Jeon und Propst Wolfgang Semmet

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Oschersleben, Dr. Ziethen Verlag, 2021

