Deichgrafen-Collegium
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Das Deichgrafen-Collegium-Ricklingen informiert:
Fünfzig Jahre Ricklinger Deich

Deichgrafen-CollegiumIm Jahre 2004 besteht der Ricklinger Deich 50 Jahre. Grund genug sich über die Hintergründe, die zum Deichbau geführt haben, Gedanken zumachen.

Wer am 10. und 11. Februar 1946 mit einem Kraftwagen vom Rathaus Hannover zum Rathaus Linden fahren wollte, musste über Stöcken - Reichsautobahn - Dedensen - Gümmer - Seelze-Ahlem einen Umweg von 35 Kilometern machen. Jede direkte Verbindung zwischen Hannover und Linden war durch ein breites Hochwasserband, dass sich im südlichen Stadtteil von Döhren bis zur Göttinger Landstraße (2700 m) in der Stadtmitte vom Hohen Ufer bis zur Blumenauer Straße (900 m) und im nördlichen Stadtgebiet von Stöcken bis Letter (1000 Meter) erstreckte, abgeschnitten.
Wichtige Verkehrspunkte standen unter Wasser, und über Ohestraße, Humboldtstraße, Goetheplatz, Braunstraße, Glocksee ergoss sich ein reißender Strom, der hier und da in tiefen Furchen das Straßenpflaster aufriss. Und wenn er das Pech hatte, in der Straßenbahn zu sitzen, die von der Flut am Goetheplatz überrascht wurde, musste entweder ein kühles Bad nehmen oder Zuflucht über das Dach der Straßenbahn suchen, bis er am nächsten Tag mit einem Rettungsboot in Sicherheit gebracht wurde.

Bereits in den Jahren 1808 und 1909 wurde Hannover bereits von großen Hochwassermengen heimgesucht. Aber das schlimmste war die Hochwasserkatastrophe vom 9./10. Februar 1946.

Die Flut bedeckte in Hannover ca. 1700 Hektar, hiervon waren 237 Hektar bebaute Grundstücke und 183 Kleingartenkolonien. Die Überflutung betrug in bewohnten Stadtteilen z. B. in der Pfarrstaße bis 3 Meter, im Ricklinger Stadtweg bis 2,50 Meter. Das bedeutet also, dass die Erdgeschosse völlig unter Wasser standen. Allein das überschwemmte Gebiet von Ricklingen wurde von etwa 16.000 Personen bewohnt. Insgesamt wurden hier etwa 3800 Haushaltungen betroffen und 1300 Wohnungen direkt unter Wasser gesetzt, wobei die in Laubengärten befindlichen Wohnlauben, die nur im Sommer bewohnt wurden, nicht eingerechnet sind. Ferner wurden in Ricklingen überflutet:
55 gewerbliche Betriebe
36 Lebensmittelgeschäfte
11 Bäckereien
8 Fleischereien
4 Gärtnereien
8 landwirtschaftliche Betriebe
2 Bürgerschulen
1 Entbindungsanstalt

An wichtigen Gebäuden, die im Stadtinneren vom Hochwasser betroffen waren, seien erwähnt:
Polizeipräsidium, Oberfinanzpräsidium, Archiv, Regierung, Neues Rathaus, Straßenbahndepot, Fuhramt, Gaswerk, Krankenhäuser Siloah und Friederikenstift, vier Schulen, eine Großbäckerei (Harry) u.a.m.

Das Unglück, das über die Stadt hereinbrach, wäre noch viel größer gewesen, wenn die Häuser der Altstadt noch unzerstört bzw. schon wieder aufgebaut gewesen wären.
Die Anzahl der im Kriege zerstörten vom Hochwasser überfluteten Gebäude betrug 548. Im gleichen Gebiet lagen außer den bereits erwähnten Häusern von Ricklingen 279 unzerstörte Gebäude.
Die Kostenermittlung für die Schäden betrug nach der Währungsreform im Jahr 1949 über 6 Millionen Mark.

Am besten lässt sich die Situation während des Hochwassers durch die Lagemeldung vom 11. Februar 1946 des Chefs der Polizei Hannover-Stadt wiedergeben. Dort heißt es unter anderem.
" Für die Polizei Hannover-Stadt wurde Großalarm befohlen. Das achte Polizeirevier musste geräumt werden. Als Beobachtungsposten wurden drei Mann zurückgelassen. Die Fernsprechvermittlung in der alten Kriegsschule ist ausgefallen, dgl. die Postanschlüsse zu den Polizeirevieren 9 bis 12 (Linden), sodass diese Polizeireviere fernmündlich nicht mehr zu erreichen sind.
Im Laufe des Vormittags des 10. 2. stieg das Wasser noch weiter, sodass die Polizeireviere 9 und 10 auch durch Melder nicht mehr zu erreichen waren. Mit den eingeschlossenen Personen des Polizei-Hauptdienstgebäudes wurde mittels Boot Verbindung aufgenommen und auch die Gefangenen des Polizei- Gefängnisses auf diesem Wege verpflegt.
Die Regional-Polizeischule wurde gleichfalls alarmiert und mit rund 300 Mann zur Bergung von Lebensmitteln (Markthalle) und zur sonstigen Hilfeleistung in den bedrohten Gebieten eingesetzt. Der Bahnhofs-Bunker musste geräumt werden. Die Obdachlosen, Flüchtlinge und Reisenden wurden in die Bunker Bunnenbergstr. und Ballhofstr. verwiesen.
Vom englischen Stadtkommandanten wurde Hilfe durch eine englische Einheit zugesagt. Diese Einheit stellte zehn Boote zur Verfügung, die im Bereiche des 1. und 15. Polizeireviers zur Rettung von Menschen zum Einsatz gelangten. Wo sich Menschenleben in Gefahr befanden, konnte ihre Rettung bisher in jedem Falle erfolgen. Meldungen über Todesopfer liegen bisher nicht vor."

Was waren nun die Ursachen für diese Hochwasserkatastrophe?

Einer 14- tägigen Frostperiode in der 2. Januarhälfte 1946 folgte vom 4. bis 10. Februar eine Periode niedrigen Luftdruckes. Die Niederschläge waren sowohl während der ganzen Hochwasserperiode wie an den Katastrophentagen des 8. und 9. Februar ganz ungewöhnlich hoch. Im 1. Februardrittel erreichten die Niederschlagsmengen bis zu 1/6 der mittleren Jahresniederschlagsmenge. Die Niederschläge fielen fast durchweg als Regen. Infolge des gefrorenen Bodens und der Abholzungen im Harz durch die britische Besatzungsmacht kamen die gefallenen Regenmengen schnell zu Tal. Die vorgenannten Punkte sind als die wetterbedingten Ursachen der Hochwasserkatastrophe anzusehen. Besonders zu erwähnen sei noch, dass die Flüsse eisfrei waren, und dass somit noch nicht einmal alle denkbar ungünstigen Umstände vorlagen.

Die Bauverwaltung, Tiefbauamt, Wasser- und Brückenbau, hat sich in den Jahren danach mit der Planung von Hochwasserschutzmaßnahmen beschäftigt. Dabei ging es um den Umbau des städt. Wehres in Herrenhausen, den Bau einer Überlaufschwelle, Erweiterung der Ihme aber auch vordringlich um die Eindeichung von Ricklingen.

Der Stadtteil Ricklingen hatte bisher keinerlei Hochwasserschutz. Wie schwer die Einwohner des bedrohten Gebietes 1946 heimgesucht wurden, geht eindeutig aus dem bereits geschilderten Umfang der dortigen Überflutung hervor. Die Forderung zum Schutz von Leben, Gesundheit und Hab und Gut wurde dringend gestellt, da bereits im Jahre 1947 wiederum große Teile von Ricklingen unter Wasser gesetzt wurden. Gegen ein Hochwasser von dem Ausmaß von 1947 war Ricklingen von Süden her durch die natürliche Höhenlage des Zuges Landwehrschänke- Mühlenholzweg- Hahnensteg- Edelhof geschützt. Ungeschützt war dagegen die rund 1 kilometerlange Strecke Edelhof- Bahndamm. Diese Strecke musste in jedem Fall durch einen Deich geschlossen werden.
Der städtische Baurat Dr. Schwien schrieb am 13. September 1949, dass die Kosten für die Hochwasserschutzmaßnahmen insgesamt 14.450.000 Mark ( die Kosten für ein einziges Hochwasser machen daher 43 Prozent aus ) ausmachen, wobei für die Eindeichung Ricklingens 750.000 Mark veranschlagt wurden. Eine solche Durchführung wäre zu diesem Zeitpunkt weder technisch noch finanziell vertretbar. Es wurde ein Zeitstufenplan erstellt, der 1950 mit der Eindeichung Ricklingens beginnen sollte. Wie man den damaligen Presseberichten entnehmen kann, wurde aber erst 1952 effektiv mit dem Bau des Ricklinger Deiches begonnen.
Bis zur Fertigstellung 1954 mussten 70.000 Kubikmeter Boden aufgeschüttet werden. Die Beschaffung dieser Bodenmenge war nicht leicht. Sie wurde von verschiedenen Stellen regelrecht zusammengesucht.
Neben der Aufschüttung musste eine Durchfahrt durch den Deich geschaffen werden. Er entstand an der verlängerten Düsternstraße. Dort wurde der Deich unterbrochen, durch zwei starke Mauern geschützt und durch ein Stemmtor wieder verbunden. Dieses Tor wird nur bei Hochwassergefahr geschlossen, sonst gibt es die Durchfahrt frei. Das Tiefbauamt baute einen neuen Abflusskanal, der das Regenwasser auf zwei so genannte Polderflächen leitet. Dort kann es sich erst einmal stauen, ohne Schaden anzurichten. Anschließend wird es durch ein Pumpwerk über den Deich geleitet und kann dann abfließen.

Der Schachtmeister Gustav Baldruschat, der zwei Jahre lang die Aufschüttung des Deiches mit bindigem Boden geleitet hat, konnte der Presse im März 1954 mitteilen: " Der Deich ist dicht ".

Das letzte Hochwasser am 4. Januar 2003 hat dem Deichgrafen-Collegium Ricklingen Anlass dazugegeben, die Frage zustellen, ob der Ricklinger Deich heute noch die nötige Dichtheit aufweist, um Ricklingen zu schützen. Wer selbst in Augenschein nehmen konnte, wie das Wasser rechts und links vom Deichtor (Stemmtor) durch den Deich sickerte wird sich des Eindrucks nicht erwehren können, dass man hier dringend tätig werden muss.

Aus einem vom damaligen Regierungsdirektor Schweicher vom niedersächsischen Ministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten herausgegebenen Bericht über " Das Februarhochwasser 1946 in Nordwestdeutschland " möchten wir abschließend folgendes zitieren:

" Es wäre verfehlt, die Hände in den Schoß zulegen in der trügerischen Hoffnung, dass so große Hochwasser doch nur noch zu den Seltenheiten gehören. "

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 Infos
Deichgrafen-Collegium-Ricklingen
1.Sprecher: Erich-Peter Potthoff
Am Holunder 29
30459 Hannover
Tel.: 0511/424983
Fax: 0511/2344585
Deichfest 2004
Text: E.-P. Potthoff

[Online 22.12.2003] Letzte Änderung am 02.04.2005Diese Seite wurde hergestellt von Hettwer/Nöthel [Impressum]
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