1. Kulturspaziergang 1998

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1. Kulturspaziergang:
Theater durchs „fidele Dörp“

Vorstellungen:


Samstag, 11. Juli 1998, 19.30 Uhr
Sonntag, 12. Juli 1998, 10.30 Uhr

 
Wir möchten Sie zu einem Streifzug durch die Geschichte Ricklingens ein laden. An sechs Orten im alten Dorfkern spielen ca. 80 Schauspielerinnen und Schauspieler im Alter von 10 bis 70 Jahren Szenen, die eine Verbindung zur Ricklinger Geschichte bzw. zu Ricklinger Anekdoten haben. Erleben Sie, wie die Ricklinger ihre Gemeindeangelegenheiten regelten, wie die Bauernschaft gegen die Hannoveraner kämpfte und wie „die Bretter, die die Welt bedeuten“, noch in Ricklingen standen.
Der Kulturspaziergang beginnt jeweils auf dem Parkplatz vor dem Freizeitheim Ricklingen und endet mit einem kleinen Abschlußfest auf dem Schulhof der Grundschule. Der Erste Ricklinger Kulturspaziergang findet in Zusammenarbeit mit dein Theaterpädagogischen Zentrum Hannover statt. Weitere Veranstaltungen sind mit der Musikschule und der Stadtbücherei geplant.
Durch das Programm führen Madlen Gerlach als Moritatensängerin, begleitet von Elke Simon am Akkordeon.

Spielort 1: Alte Ricklinger Bierquelle
Versammeln, beschließen und singen

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Die „Alte Ricklinger Bierquelle“ ist den älteren Ricklingern noch als Gaststätte Borchers oder als „bei Tante Anna“ bekannt. Diese letzte richtige Dorfkneipe Ricklingens ist seit Mitte des 18. Jahrhunderts im Besitz der Familie Borchers. Traditionsreiche Vereine haben hier ihren Stamm-tisch; der in diesem Haus aufgewachsene Harry Borchers dichtete 1897 die „Ricklinger Nationalhymne“: „Hoch Ricklingen - fidelet Dörp“

1849 wurde in dieser Gaststätte von den Ricklinger Bauern der sog. Verkoppelungsrezeß unterzeichnet. Diese „Verkoppelung“ - in etwa der heutigen Flurbereinigung vergleichbar - hatte zum Ziel, daß die Bauern zusammenhängende. nicht weit vom Hof entfernte Flächen beackern konnten. Bei dieser Neuaufteilung der Feldmark war es nicht zu vermeiden, daß ein Bauer guten Boden abgeben mußte und Boden einer minderen Güteklasse zurückerhielt. Als Ausgleich für die schlechtere Bodenqualität erhielt er ein entsprechend größeres Stück Land. Bei der Durchführung dieses Verfahrens gab es viel Streit und Mißgunst: Zum Unterzeichnungstermiu erschienen daher zahlreiche Bauern nicht. Aufgrund eines entsprechenden Gesetzes wurde Nichterscheinen als Zustimmung bewertet, so daß der Vertrag dennoch in Kraft trat.
Anmerkung: Bis 1833 bewirtschafteten die Bauern im Königreich Hannover nicht ihren eigenen Grund und Boden. Sie standen in einem Meierverhältnis und waren dem Grundherren zinspflichtig. Es gab Meierhöfe, Köthnereien und Beibauern. Ein Vollmeierhof war mindestens 120 Morgen, ein Köthnerhof meist unter 30 Morgen groß, die Beibauern betrieben die Landwirtschaft als Nebenerwerb.

Es spielt das Senioren-Kommödchen Hannover unter der Leitung von Lore Pfeiffer. Es singt der Männerchor Euterpe.

Spielort 2: Alte Dorfkrug (Heute: „La Provence“)

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Der Alte Dorfkrug hatte eine zentrale Bedeutung für das dörfliche Leben. Hier spielten sich die Geschichten ab, die das Leben schrieb. Überliefert ist die Kunde vom tragischen Ende des Bauern Grono. Dieser soll eines Abends in die Gaststube geritten sein, wo er für sich und seinen Gaul reichlich Bier bestellte. Anschließend waren Roß und Reiter so besoffen, daß sich Bauer Grono bei einem wilden Ritt durchs Dorf zu Tode stürzte.

Das Gebäude des Alten Dorfkrugs sollte Anfang der siebziger Jahre abgerissen werden und Neubauten weichen. Dank der Intervention engagierter Ricklinger und aufgrund des glücklichen Umstandes, daß die Eheleute Piquardt das Bauernhaus - und später auch den Schafstall - pachteten, konnte dieses verhindert werden. Heute ist das Lokal „La Provence“ zwar nicht typisch altricklingerisch, aber es ist ein geselliger Ort für Alt- und Neu-Ricklinger.

Es spielt die Kinder-Theatergruppe Wettbergen unter der Leitung von Gerd Zietlow

Spielort 3: Edelhof-Kapelle
Das Edel-Hoftheater

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Die Edelhofkapelle wurde um 1300 gebaut und ist eines der ältesten Gebäude in Hannover Ihren Erhalt verdanken wir dem Geschichts- und Traditionsbewußtsein der Familie von der Osten. Als in den sechzigerJahren der Bauboom das Ricklinger Ortsbild drastisch veränderte. erkor sich Victor Jürgen von der Osten folgendes Motto: „Was Kriege und der Zeiten Zahn den Häusern Böses angetan, wird hier mit Lieb und viel Bedacht nach Kräften wieder gut gemacht“. In der jahrhundertealten Geschichte des Edelhofs gibt es eine Epoche, die außergewöhnlich ist und Spuren weit über Ricklingen hinaus hinterlassen hat.

Nach Ende des Zweiten Weltkriegs gründete Jürgen von Alten, ein Verwandter des Ricklinger Barons Hans-Bruno von Alten und in den 1930er Jahren bekannter Berliner Schauspieler und Regisseug mit Hans-Günther von Klöden eine private Schauspielschule, die seit 1946 auf dem Edelhof ansässig war. Die Ricklinger Dorfbevölkerung fand den bunt zusammengewürfelten Haufen junger Schauspieler und Schauspielerinnen recht venvunderlich und so mancher zerriß sich das Maul darüber. Bekannte Schauspieler wie Hellmut Lange, Herbert Bötticher, Herbert Mensching, Günter Kütemeyer, Hanns Lothar und der spätere langjährige Intendant der hannoverschen Landesbühne Reinhold Rüdiger eroberten auf dem Edelhof die Bretter, die die Welt bedeuten. Professor Hans-Günther von Klöden wurde später der Leiter der Schauspielabteilung der Hochschule für Musik und Theater in Hannover

Das Theaterstück zeigt, wie Schauspielschüler und -schülerinnen eine frei erfundene Szene auf der Grundlage der Sage von der Tilly-Birne proben: Ein gar blutiges Szenario aus dem 30jährigen Krieg, als Tilly mit seinen Truppen Hannover erobern will und er selbst im Wrampenhof Quartier bezogen hat. Unter dem „Tilly-Birnbaum“ wurde der Sage nach einer seiner Soldaten erschlagen. Das Blut des Sterbenden zog in die Wurzeln des Baumes; seither haben die Birnen blutrotes Fruchtfleisch. Der Tilly-Birnbaum steht heute noch auf dem Edelhof.

Es spielen Schülerinnen und Schüler der Sekundarstufe II der IGS Mühlenberg unter Leitung von Hans Zimmer.

Spielort 4: Bauernhaus Kutsche
Von Schustern, Barbieren und Gesellen

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Das rund 200 Jahre alte Bauernhaus Beekestraße 109 gehörte früher zu einem Köthnerhof. Von 1943 bis Mitte der achtzigerJahre befand sich hier die Kohlenhandlung Vahs. In den letzten zehn Jahren sind Klaus Kutsche und seine Frau Boris dabei, das Haus liebevoll zu restaurieren.
Die Spielszene erinnert an Heinrich Kracke; dieser war Barbier. Zahnarzt, Apotheker und Trichinenbeschauer. Im Wohnzimmer seiner Wohnung in der Stammestraße hatte er seinen „Salon“ eingerichtet. Dorthin kamen die Ricklinger zum „Haarsnieden un Tähnetrecken“. Auch seine Kräutermedizin wurde gern gegen Schmerzen und allerlei Wehwehchen genommen.

Es spielen die Stadtteilhühne Mühlenberg und Klaus Kutsche als Schmied unter der Leitung von Gerd Zietlow

Spielort 5: Regenwasserrückhaltebecken
Wasserkrieg und Grabenkämpfe

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Zum besseren Schutz vor Hochwasser begannen die Hannoveraner 1717 mit Deichbauarbeiten am „Schnellen Graben“. Die Ricklinger befürchteten, daß ihr Dorf hierdurch bei künftigen Überschwemmungen noch mehr als bisher in Mitleidenschaft gezogen würde, und daher zerstörten sie kurzerhand das Werk der Hannoveraner. Als ein Jahr später die Stadt erneut ihre Uferseite ausbaute, kam es zum offenen Konflikt. Die Glocke der Edelhofkapelle läutete Sturm und rund 50 Ricklinger Männer, bewaffnet mit Forken, Äxten und Hacken, zogen unter der Führung ihres Bauermeisters Knost zum „Schnellen Graben“. Dort schlugen sie die Hannoveraner in die Flucht und zerstörten wiederum alles, was diese gebaut hatten. Danach ging es in den Dorfkrug und die Heldentat - die als „Wasserkrieg“ in die Ricklinger Geschichte einging - wurde tüchtig begossen.
Die letzten Bilder dieser Spielszene erinnern an das Jahrhunderthochwasser im Febmar 1946. In Ricklingen stand das Wasser 1,5 bis 2 Meter hoch, und auch weite Teile von Linden und die hannoversche Innenstadt waren überschwemmt.

Es spielen die Hannöversche Speeldeel unter der Leitung von Ingwer Matzen, die Kindertheatergruppe „wave“ unter der Leitung von Rosl Blase-Willmer und Schülerinnen und Schüler der Musikschule Hannover unter der Leitung von Ulrich Ristau.

Spielort 6: Grundschule Starnrnestraße
Die Schule im Dorf

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D ie Schule in Ricklingen wird erstmals 1683 urkundlich erwähnt, erster namentlich genannter Schulmeister war Cvracus Hillebrandt. Die erste Ricklinger Schule wurde wohl 1813 durch das heute noch erhaltene Gebäude Am Edelhofe 2 ersetzt, das bis 1862 als Schule genutzt wurde. 1889 wurde die heutige Grundschule an der Stammestraße gebaut.
Einige Lehrer haben das gesellschaftliche Leben in der Gemeinde mitgestaltet. So war der Lehrer Höpfner der erste Chorleiter des 1865 gegründeten Gesangsvereins Euterpe und der Rektor der Schule Stammestraße - Redekor - erster Vorsitzender des 1896 gegründeten Männerturnvereins Ricklingen.
Die Spielszene zeigt den Schulalltag vor hundert Jahren, erinnert an den turnbegeisterten Rektor Redekor und geht in ein großes Finale unter Mitwirkung aller Beteiligten über.

Es spielen die Theater AG der Grundschule Stammestraße unter der Leitung von Antje Weiß und Birgit Gerlach, die Turnriege der Grundschule Stammestraße unter Leitung von Christel Brewes, die Zirkusgruppe „Diabelly“ der IGS Mühlenberg unter Leitung von Uwe Ahrends und Schülerinnen und Schüler der Musikschule unter der Leitung von Ulrich Ristau. Es singt der Männerchor Euterpe.

Mit Rat und Tat standen uns zu Seite:


Victor Jürgen von der Osten und Horst Schweimler

Texte und Regie:


Christiane Brettschneider, Diplom-Kulturpädagogin
Gerd Zietlow, Theaterpädagogisches Zentrum

Koordination und Idee:


Hartmut Herbst, Freizeitheim Ricklingen

Außer den erwähnten Schauspielerinnen und Schauspielern wirken mit:


Horst Schlottig als Dorfpolizist, das Hannöversche Traditions Corps, die Video AG des Freizeitheims Ricklingen, das Fototeam 76 und Heidi Kutsche

Für die freundliche Unterstütznng danken wir:


der PreussenElektra AG
der Stiftung Edelhof Ricklingen
dem "La Provence"
der Gaststätte „Alte Ricklinger Bierquelle“
der Grundschule Stammestraße
Klaus Kutsche und den vielen Helferinnen und Helfern

Quellen:


Böttcher, Richard: Wußten Sie schon? Allerlei Wissenswertes über Ricklingen „vor Hannover“; Hannover-Ricklingen 1967
Schweimler, Horst: Ricklingen - Ein Dorf- zwei Stadtteile in Hannover Seine Geschichte - seine Menschen; Hannover 1986
Osten, Victor Jürgen von der: Auf den Spuren Alt-Ricklingens: Hannover 1995

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Hettwer/Nöthel 2004