Hannoversche Allgemeine Zeitung
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Muss man hier bauen?
von Gunnar Menkens / Hannoversche Allgemeine Zeitung

Eine der letzten großen Naturflächen der Stadt wird verplant: Rund 300 Einfamilienhäuser will der Reichsbund in Wettbergen bauen - aber die Grünen stellen Bedingungen. Sie fordern eine Ökosiedlung. Und selbst die ist fraglich: Noch ist das Gelände gar nicht für eine Bebauung freigegeben.

Ein Bächlein plätschert, Vögel zwitschern, ein Friedhof liegt still am Rand, nahe daran warten Wiesen und ein Landschaftsschutzgebiet mit Tier- und Pflanzenwelt auf den Frühling. Und was sagt ein regionaler Politiker zu dieser Idylle in Wettbergen? „Eine geile Gegend zum Bauen.“ Verstehen kann er schon, dass man dort leben möchte, aber verhindern will er doch, was der Reichsbund längst vorbereitet hat: den Bau von knapp 300 Einfamilien- und Reihenhäusern. Für Hannovers Grüne ist dieses Geschäft dagegen die perfekte Gelegenheit, um eine ökologisch vorbildliche Null-Emissions-Siedlung mit Passivhäusern zu bauen. Aber so einfach ist das nicht, denn die Interessenlage ist komplex.

Die Region
Axel Priebs ist der Hüter des Regionalen Raumordnungsprogramms. In dem umfänglichen Papier ist verzeichnet, wo gebaut werden darf und wo Landschaften geschützt sind. Für Wiesen, Bäume und Bäche in Wettbergen gilt der Maximalschutz: Die Natur hat absoluten Vorrang. Und Priebs, dessen Regionsdezernat für Ökologie und Planung den Umweltschutz schon halb im Namen führt, sagt nichts, was darauf hindeutet, dass dieser Zustand unbedingt geändert werden sollte. „Wir haben eine klare Rechtslage: Bauen ist nicht möglich.“

Aber Beschlüsse sind schnell geändert, wenn sich die richtigen Mehrheiten finden. Priebs muss sich sorgen, dass bald jede Gemeinde der Region in seinem Büro vorstellig wird, um aus Wäldern und Wiesen wirtschaftlich nützlichere Bauflächen zu machen, käme man der Landeshauptstadt entgegen. Würde dann nicht Zug um Zug ein Naturgebiet nach dem anderen verschwinden? Und würde aus Priebs gehüteter Raumordnung mit ihren geschützten Zonen nicht schnell ein löcheriger Käse?

Die Stadt
Hannover hat ein schwerwiegendes Problem: Familien, die es sich leisten können, ziehen verstärkt ins Grüne und kehren der Stadt den Rücken. Steuern zahlen die Neubürger dann an ihrem neuen Wohnort, und die Kämmerei im Rathaus ist düpiert. Da kommt jedes Baufleckchen in Naturnähe gelegen, auf dem Einfamilienhäuser gebaut werden können. Noch größer sind die Begehrlichkeiten, wenn das Gebiet so groß wie in Wettbergen ist. „Das ist eine wertvolle Baufläche und die Null-Energie-Siedlung eine spannende Sache“, sagt denn auch Baudezernentin Uta Boockhoff-Gries. Ihr ist aber auch an ausreichenden Grünzügen gelegen, die das künftige Wohngebiet mit der Stadt verbinden.

Die Politik
Die Ökosiedlung ist das Lieblings- und Vorzeigeprojekt der Grünen, es fände bundesweit Beachtung. Entsprechend hoch hängt Fraktionsmitglied Michael Dette den Bau der Ökohäuser. „Entweder eine Null-Emissions-Siedlung oder gar keine Bebauung, denn für alles andere ist die Fläche in Wettbergen zu wertvoll.“ Mit der SPD ist die Sache schon besprochen, aber es gibt offensichtlich noch Interpretationsprobleme in der Koalition. Klaus Huneke, Fraktionschef der SPD, hat nichts dagegen, auf dem Areal In der Rehre 300 Häuser hochzuziehen - aber im Gegensatz zu Dette nicht ausschließlich mit Ökohäusern. „Eine gesunde Mischung sollte es schon sein.“ Der Sozialdemokrat will keine elitäre Siedlung für Besserverdiener, die sich Umweltschutz leisten wollen.

Ob das Projekt vorankommt, hängt maßgeblich von Regionspolitikern ab. Sie müssten das Raumordnungsprogramm ändern, damit die Kollegen in Hannover überhaupt Wohnungsbau zulassen können. In der Regions-SPD steht man den Passivhäusern aufgeschlossen gegenüber. Angelika Walther attestiert den Plänen „gute Aussichten“ und sagt das auch als für Wettbergen zuständige Bezirksbürgermeisterin. Ob es unbedingt 300 Ökohäuser sein müssen? Abwarten. Der grüne Koalitionspartner ziert sich. Denn im Gegensatz zu den Parteifreunden in Hannover erinnert Serdar Saris an die Bedeutung von „Freiluftschneisen“. Eine Argumentation, die von dem Grundsatz ausgeht, dass das ökologischste Bauen ist, wenn man gar nicht baut. Für die Siedlung bedeutet das: „Keine Notwendigkeit. Wenn überhaupt, dann nicht für 300 Häuser.“

Die Fachleute
Horst Bauermeister baut als Chef der Reichsbund Wohnungsbau GmbH Häuser und ist als Verkäufer nicht überzeugt von Null-Emissions-Modellen. „Es gibt keine Nachfrage. Aber das kann auch an der mangelnden Information der Kunden liegen.“ Weil Bauermeister für seine 110-Millionen-Euro-Investition in Wettbergen die Zustimmung der Politik braucht, ist er offenbar bereit, von seiner marktwirtschaftlichen Einschätzung abzurücken. 150 Häuser müssten als Demonstrationsobjekt doch genügen, sagte er gestern bei einer Ratsanhörung.

Ein möglicher Kompromiss, den ihm die Stadtwerke noch erleichtert haben dürften, denn die würden das 22 Hektar große Gebiet In der Rehre erschließen. ProKlima-Geschäftsführer Manfred Görg schwärmte vom „Leuchtturmprojekt“: Eine Siedlung ohne klimaschädliche Emissionen aus Heizung, Wasser und Haushalt. Dazu Häuser, die in Bau und Betrieb entgegen allen Vorurteilen wirtschaftlich seien. Die Firma des Hannoveraners Thorsten Schwarz baut diese Passivhäuser, und er berichtete den Politikern von einer hohen Zufriedenheit der Bewohner.

Sollten die widerstreitenden Interessen unter ein Dach gebracht werden, dürfte dennoch einige Zeit vergehen, bis der erste Spaten ins Wettberger Erdreich sticht. Boockhoff-Gries' Schätzung ist da schon optimistisch: „Zweieinhalb Jahre dauert allein das Verfahren - wenn alles gut geht.“
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Infos
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geplantes Baugebiet
Geplantes Baugebiet in Wettbergen
Artikel mit freundlicher Genehmigung übernommen aus der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung, Nr. 43, Donnerstag, 20. Februar 2003 (S. 15)


[Online 22.02.2003] Letzte Änderung am 22.03.2004 Diese Seite wurde hergestellt von Hettwer/Nöthel [Impressum]
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